Das Lemon-Drama

Es könnte fast ein Thriller sein mit dem Titel „Zwischen den Fronten – Die Lemondalmatiner“.

Schwarz und Braun sind die beiden bekanntesten und am häufigsten vorkommenden Farbschläge beim Dalmatiner. Lemon ist eine weitere Farbvariante. Die Tupfen sind dann nicht dunkel, sondern sehr hell und haben einen Farbton, der von zitronenfarben bis orange reichen kann.

Genetisch betrachtet ist Lemon rezessives Gelb (Allelkombination e/e). Gelb kommt nicht nur beim Dalmatiner vor, sondern auch bei sehr vielen anderen Rassen. Dort hat es nur häufig einen anderen Namen. Rassen bei denen Gelb als Teil der Farbpalette vorkommt sind zum Beispiel der Englisch Setter (Orange Belton), der Pointer (weiß/zitrone, weiß/orange) Labradore (Gelb und Foxred) oder Beagles. Rassen, die ausschließlich in Gelb vorkommen sind zum Beispiel der Magyar Viszla oder der Golden Retriever (Cremefarben bis Dunkelgolden). Auch Rassen wie der Weiße Schweizer Schäferhund und Samojeden sind genetisch rezessiv gelbe Hunde. Bei ihnen ist die Farbe jedoch so stark aufgehellt, dass das Fell weiß erscheint. Weitere Informationen zur Farbvererbung können im Artikel „Fell- und Farbvarianten“ nachgelesen werden.

Beim Dalmatiner (wie auch beim Flat Coated Retriever) gilt Gelb laut Rassestandard als zuchtausschließender Fehler und ist unerwünscht. Wie es dazu kommt ist nicht bekannt. Auf Nachfragen, warum Lemon verboten sei bekommt man lediglich die Antwort, dass es im Standard als Fehler gilt und deshalb von der Zucht ausgeschlossen ist. In den meisten Vereinen ist die (geplante) Verpaarung von zwei Lemonträgern zwar nicht explizit verboten, gestattet wird sie aber auch nicht. Wenn in Deutschland innerhalb der Zuchtvereine Lemonwelpen geboren werden, dann in der Regel nur, weil ein oder beide Elterntiere nicht auf das Lemongen getestet wurden.

Tritt der seltene Fall von Lemonwelpen in einem Wurf ein, wird das Ganze zu einem regelrechten Drama. Nicht selten werden Lemonwelpen unter Züchtern als Schande empfunden und Züchter mit solchen Welpen werden von Schimpftiraden verfolgt. Es ist wirklich erstaunlich wie viel Wut die Fellfarbe eines Hundes in den Menschen auslösen kann, wenn es ihrer Meinung nach „die falsche Farbe“ ist.

Immer wieder ist zu hören oder zu lesen, dass es ja seinen Sinn hat, dass Lemon in der Zucht verboten ist. Als Argument für den Zuchtausschluss wird oft behauptet, dass Lemons deutlich häufiger von Taubheit betroffen sind als die schwarzen oder braunen Dalmatiner. Für diese Behauptung gibt es jedoch keine Belege. Da Lemon durch die Zuchtverbände weitgehend verhindert wird und es dadurch nur wenige Exemplare gibt, lässt sich keine aussagekräftige Statistik über einen Unterschied der Hörfähigkeit der verschiedenen Farbschläge aufstellen. Da die angeborene Taubheit beim Dalmatiner mit der starken Weißscheckung gekoppelt ist, ist davon auszugehen, dass die Tupfenfarbe keine Auswirkungen auf die Hörfahigkeit hat und es somit höchstwahrscheinlich keine signifikanten Unterschiede zwischen den einzelnen Farbschlägen gibt.

Ein weiterer Punkt, mit dem häufig versucht wird den Zuchtausschluss von Lemon zu begründen ist der Rassestandard. Es heißt, bestimmte Dinge bekommen einen Zuchtausschluss, damit die Rasse erhalten wird, damit es ein Dalmatiner bleibt. Wenn es um gesundheitliche Belange geht ist der Zuchtausschluss von gewissen Dingen sicherlich sinnvoll begründet. Taube oder einseitig hörende Dalmatiner, sowie Dalmatiner mit blauen Augen nicht in die Zucht zu nehmen ist für die Rasse von Vorteil und berechtigt, da somit einem Ansteigen der Taubheitsrate entgegengewirkt werden kann.

Bei rein optischen Aspekten, die auf die Gesundheit oder das Wesen jedoch keine negativen Auswirkungen haben, bleibt der bestehende Zuchtausschluss allerdings unverständlich. Es ist zu bezweifeln, dass die Aufnahme der Farbe Lemon in die Dalmatinerzucht die Rasse plötzlich grundlegend ändert und ganz andere Hunde aus ihnen macht. Zudem ist Lemon keine neumodische Erscheinung, sondern eine Farbe, die schon sehr lange in der Rasse existiert.

Zudem gilt es zu bedenken, dass mit Lemon möglicherweise auch noch andere, positive, Gene gekoppelt sein könnten. Wenn weiterhin darauf selektiert wird Lemon weitestgehend aus der Rasse zu verbannen, dann würden mit der Farbe auch die anderen Genvarianten verschwinden. Wenn dagegen auch Lemon offiziell anerkannt würde, würden sich neue Möglichkeiten für Verpaarungen ergeben, die vielleicht sehr gute Hunde hervorbringen könnten, momentan aber noch nicht möglich sind, weil die Verpaarung zweier Lemonträger verpönt beziehungsweise untersagt ist. Es stünde ja nach wie vor jedem Züchter frei ob er nur Verpaarungen mit Elterntieren macht, die das Lemongen nicht tragen, einen Lemonträger einsetzt oder sogar zwei Lemonträger verpaart.

Einige Menschen mögen Lemon beim Dalmatiner nicht, andere dagegen schon. Es ist wie bei allem im Leben Geschmackssache, solange es für die Hunde oder deren Nachkommen keine negative Folgen hat.
Für die meisten Welpenkäufer spielt die Farbe des Hundes eine eher untergeordnete Rolle, die Priorität liegt auf einem möglichst gesunden und charakterlich gutem Hund, mit dem man viele Jahre seines Lebens teilen kann.
Auch der Großteil der Züchter sagt über sich selbst, dass die Farbe des Zuchtpartners bei der Auswahl unwichtig ist und andere Dinge im Vordergrund stehen. Dies ist sehr löblich, dennoch könnte man dann sagen, dass, wenn die Farbe tatsächlich so unwichtig ist wie behauptet wird, dann könnte man ja auch einen lemonfarbenen Zuchtpartner wählen, sofern dieser ebenso die Anforderungen erfüllt.

Interessant wäre, ob die starke Abneigung gegen Lemondalmatiner tatsächlich aus dem Geschmack, der eigenen Meinung und Erkenntnis jedes Einzelnen resultiert, oder ob nicht in den meisten Fällen die „allgemeine und vorgeschriebene“ Meinung der Zuchtverbände angenommen und nun als die Eigene verbreitet wird. Ein Verhalten, dass nicht ungewöhnlich ist und das in der Psychologie als eine Handlungstheorie diskutiert wird. In diesem Kontext spricht man dann vom Mitläufer-Effekt oder auch vom Lazarsfeldschen Bandwagon-Effekt. Zudem hat es den Anschein, dass es in vielen Zuchtvereinen unerwünscht ist, wenn aktuelle Regeln und Vorgehensweisen hinterfragt und womöglich kritisiert werden.

Unschön wird es, wenn pauschal Behauptungen aufgestellt werden, bei denen Menschen, die sich für den Erhalt von Lemon einsetzen, beschuldigt werden die Zucht mit oder auf die sogenannte Fehlfarbe nur deshalb zu betreiben, weil sie angeblich einen Markt dafür gefunden haben und von diesem finanziell profitieren wollen. In den allermeisten Fällen ist dies einfach nur eine haltlose Unterstellung, die mit der Realität nichts zu tun hat. Unseriöse Züchter, die nicht die Hunde, sondern nur das Geld vor Augen haben gibt es praktisch überall, dennoch kann man in diesem Bezug nie verallgemeinern.

Die Nichtaufnahme von Lemon (aber beispielsweise auch Tricolor) damit zu begründen, dass der Farbschlag nur anerkannt werden soll, um ihn für bestimmte Käufer zu „produzieren“ ist nicht sehr weit gedacht. Denn auch Züchter, der momentan im Standard zugelassenen Farben, haben eine ganz bestimmte Zielgruppe und möchten ihre Welpen verkaufen. Letztendlich müsste man in diesem Zusammenhang die gesamte Rassehundezucht diskutieren, denn Rassehunde werden generell für eine bestimmte Zielgruppe gezüchtet, was in diesem Sinne dann ebenso verwerflich wäre.

In diesem Zusammenhang wäre es wünschenswert, wenn das persönliche Gespräch gesucht wird anstatt falsche Beschuldigungen über andere Menschen zu verbreiten.

Viele Züchter befürchten, dass, wenn Lemon in der Zucht zugelassen wird, einige Züchter nur noch eine reine Farbzucht betreiben und andere Kriterien außer Acht lassen nur um „Raritäten“ zu züchten.
Dieser Fall könnte selbstverständlich eintreten, aber er kann ebenso bei Schwarz und Braun eintreten, denn Dalmatiner sind von Haus aus keine einfarbigen Hunde.
Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, ist das Nichtzulassen von Lemon auch eine gewisse Art der Farbzucht, nämlich eine „Farbvermeidungszucht“ aus unbegründeten, da nicht gesundheitlichen Gründen. Insofern scheint die Farbe bei der Zuchtplanung also doch eine größere Rolle zu spielen als zugegeben wird.
Es gab Zeiten, in denen wurden Züchter mit einem braunen Dalmatiner nicht in einen Verein aufgenommen, weil man diese Farbe dort nicht wollte, heute gehört Braun ganz selbstverständlich dazu.

Ob die Aufnahme von Lemon in die Zucht der Rasse schadet hängt in erster Linie vom Verantwortungsbewusstsein des Züchters ab, nicht von der Farbe selbst. Ist ein Züchter nur darauf aus möglichst viele Lemondalmatiner zu züchten, weil sich diese momentan gut verkaufen lassen, so ist dies der Rasse sicherlich nicht dienlich. Doch wirklich engagierte Züchter werden sich auch weiterhin viele Gedanken über eine passende Verpaarung machen.

Da es nicht übermäßig viele Lemonträger, geschweige denn Lemondalmatiner, gibt, die sich noch dazu für einen Zuchteinsatz eignen, ist eine langfristige Planung und Durchspielung von Zuchtvorhaben für eine sinnvolle Erhaltung des Farbschlags unerlässlich. Wer nur den kurzfristigen „Erfolg“ mit ein paar wenigen Lemonwelpen sieht wird sich bald im Kreis drehen und nicht weiter kommen.